8 Überarbeiten

8 Überarbeiten (Testlesen, Korrektorat und Lektorat)

Lektoren sind oft zerrissen zwischen Perfektionismus und dem von der Bezahlung verlangten Minimalismus. Man könnte mit geringerem Aufwand sicher auch etwas abliefern, aber das genügt dann den eigenen Ansprüchen nicht mehr. Und an die vielen Stellen, die man glattgebügelt hat, erinnert sich ja keiner. Aber die eine Stelle, die dringeblieben ist, die klebt einem ewig an der Backe und versaut den Ruf.

Qualitätssicherung ist ein undankbarer Job.

Was auch immer geschrieben wird, muss von anderen Leuten gelesen werden.  Niemand ist frei von Rechtschreib- und Grammatikfehlern, und keine Geschichte ist perfekt, so, wie sie einem einzelnen Hirn entspringt.

Entsprechend nützt es jedem Text, jeder Geschichte, durch mehrere Hände zu gehen.  Einige werden dabei weniger, andere mehr beitragen.  Oft gibt es kein brauchbares Feedback, wenn man einen Text testlesen lässt.  Doch die professionelleren Rückmeldungen aus dem Korrektorat und Lektorat sind oft sehr umfangreich.

Man kann grob drei Stufen des Nachbearbeitens eines Textes unterscheiden.

  • Testlesen ist das Vorlegen des Textes zum einfachen Durchlesen.  Hierfür werden oft Freunde und Verwandte eingespannt, doch man sollte möglichst auch Fremde dafür finden, die einem ehrlicher antworten könnten.  Im Idealfall melden diese Leute dann zurück, ob es und was ihnen gefallen hat oder nicht.  Bisweilen kommen auch konkretere Vorschläge.
  • Im Korrektorat werden von einer Fachkraft (oder auch mehreren, wenn es besonders gründlich sein muss) alle Rechtschreib- und Grammatikfehler beseitigt.  Stilfragen und Inhaltliches des Textes werden aber nicht weiter beachtet.  Ein Korrektorat von einem ungeschliffenen Text ist also auch nur begrenzt sinnvoll.  Bisweilen liest sich der korrigierte Text sogar schlimmer (wenn auch korrekter) als das Original:

    Die Gruppe wusste genug und waren wie Freunde für ihn.

    Das könnte im Korrektorat zu Folgendem korrigiert werden:

    Die Gruppe wusste genug, und die Leute waren wie Freunde für ihn.

    Wobei dann geraten wurde, dass die Gruppe aus Leuten besteht, und eigentlich ist das nicht Aufgabe des Korrektorats.

    Oder das Korrektorat ist auf verlorenem Posten, weil die ganze Formulierung so nicht funktioniert:

    Sie wollte, dass ihre Kuchen ihm Freude machten und ihn auch am Mittag, wenn er zum Essen kam, er nun viel lieber kam, weil er sich auf einen leckeren Kuchen freuen konnte.

    Sie spricht leise aus Ehrfurcht, die Leichen würden sie hören.

    Hände, die sensibel seine Einsamkeit hinfort berührten.

    Solche Fälle brauchen ein Lektorat, kein Korrektorat.  Man kann es korrigieren, aber was dabei herauskommt, ist nicht besser als das Original.

  • Im Lektorat wird ein Text auf viele Aspekte hin abgeklopft und überarbeitet.  Dazu gehören:
    • Strukturierung
      Sätze, Absätze, Szenen, Kapitel, Teile, Bände.  Oft werden Absatzwechsel eingefügt, manchmal Textstellen neu angeordnet, selten auch Szenen oder Kapitel umsortiert.  Lücken im Text (zu große Sprünge, fehlende Erklärungen) werden identifiziert, Unnötiges entfernt.
    • Sprache
      • Missglückte Formulierungen

        Sein Studium war kein Kinderschlecken.

      • Unpassende Wörter

        Sie warf sich ihm an den Nacken.

      • Wortwiederholungen

        Wieder sprach sie ihn wieder an.

      • Satzstrukturwiederholungen

        Bald machte er sich auf den Weg. Gleich stand sie auf. Sofort wehrte er sich gegen ihre Begleitung.

      • Dopplungen

        Er langte in seine Tasche und holte mit einem Griff in sein Gepäck den Stadtplan hervor.

      • Zu lange Sätze
        Ab 28 Wörtern – so sagt die Forschung – schalten Leser ab.  Nicht alle und nicht sofort, aber wenn es sich häuft, verliert man nach und nach mehr und mehr Leser.
      • Komplizierte Satzstrukturen

        Die Leute wollten den, der die dem Bauern gehörenden Pferde geklaut hatte, lynchen.

      • Einhalten der Zeitformen

        Ich ging ins Zimmer und rufe nach Mama.

      • Einhalten der grammatischen Person der Erzählung
        (erste Person vs. dritte Person) usw.

        Ich ging zu Peter. »Komm mal mit«, sagte ich. Die beiden verließen zusammen das Zimmer.

    • Perspektive (siehe auch 4.2 Erzählperspektive)
      Geschichten müssen aus einer einheitlichen Perspektive erzählt werden, die nicht wahllos wechseln darf.

      Ich wunderte mich über das Klingeln, machte aber dennoch die Tür auf und plötzlich stand Peter vor mir. Peter erschrak und dachte kurz darüber nach, ob er weglaufen sollte.

    • Inhalt
      • Sachlich Falsches

        Die Hauptstadt von Budapest ist Ungarn.

      • Zusammenhangloses

        Sie marschierten gemeinsam durch die Straßen. Immer größer wurde ihre Gruppe, bis sie schließlich vor dem Präsidentenpalast ankamen, weil sie so viele waren.

        usw.
    • Emotionale Stimmigkeit

      Alle schauten betreten, während sie laut weinend vor Trauer niedersank und sich mit der Hand in einem Hundehaufen abstützte.

    • Pacing
      • Wie schnell kommt die Geschichte voran?
      • Gibt es in den richtigen Abständen neue Hooks für die Leser?
      • Wo sitzen die Plot Points?
      • Wird der Spannungsbogen aufrecht erhalten?
    • Figuren
      • Sind die handelnden Personen stimmig charakterisiert und passen ihre Handlungen zu ihnen?
      • Sind die Figuren interessant?
      • Passen sie zum Genre?
    • Logik
      • Ist die Handlung stimmig und überzeugend?
      • Gibt es Plot-Holes oder Inkonsistenzen?
    • … und noch viele andere Aspekte.

Im Wesentlichen kann man sagen, dass das Lektorat alle Schwächen eines Textes auszubügeln versucht, die über reine Rechtschreib- und Grammatikfehler hinausgehen.

Im englischen Sprachraum wird deshalb auch von mehreren verschiedenen Arten von Editors gesprochen, denen verschiedene Aufgaben zugeordnet werden (siehe diesen Blogartikel von Randy Ingermanson).  Das ist im deutschen Lektorat eher unüblich.  Es kommt allerdings vor, dass mehrere Lektoren nacheinander einen Text bearbeiten, und dann vielleicht auch mit verschiedenen Schwerpunkten.

Weist ein Text viele Probleme auf, ist ein Lektorat also sehr aufwendig.  Weist er keine Probleme auf, ist diese Arbeit nur ein einfaches Durchlesen und Abnicken.  (Wobei dieser Idealfall unrealistisch ist.)  In der Regel richtet sich der Preis eines Lektorats nach diesem Aufwand.  Ist der Ausgangstext zu schlecht, wird das Lektorat meist zu teuer für praktische Belange.  Viele Lektorinnen und Lektoren lehnen das Lektorat in solchen Fällen ab, manche verweisen dann auf Schreibkurse oder bieten stattdessen ein Ghostwriting an.

Lektorate sind üblich, wenn ein Manuskript von einem Verlag oder einer Agentur angenommen wird.  Aber auch Selfpublisher können sich ein Lektorat einkaufen.  Korrektorate macht man in der Regel ganz am Schluss unmittelbar vor dem Satz und dem Druck des Buches.

8.1 Erleichterungen

Testlesern kann man die Arbeit nicht erleichtern.  Ihre Aufgabe ist, den Text zu lesen und sich eine Meinung zu bilden, die man hinterher abfragt.  Diese Aufgabe kann nur angenehmer oder unangenehmer sein, je nachdem, ob dem Testleser der Text gefällt oder nicht.

Dem Korrektorat kann man die Arbeit schon erheblich erleichtern, indem man die grundlegenden Regeln beachtet, die nur das Wissen darum erfordern, wie z. B. die Zeichensetzung bei Dialogen.  Wenn dort bestimmte Dinge sehr oft oder immer falsch gemacht werden, wird die Korrektur sehr aufwendig und damit teuer.  Am billigsten zu korrigieren ist ein schlicht geschriebener Text ohne Fehler.

Dem Lektorat kann man die Arbeit immens erleichtern, indem man die grundlegenden Regeln des Schreibens schon vor dem Lektorat beachtet, von denen ich hier die sammle, die am häufigsten falsch gemacht werden.

Man wird durch Beachten der Regeln das Lektorat nicht komplett ersetzen können, aber es kann sehr viel kostengünstiger ausfallen oder überhaupt erst möglich werden.


Nächster Abschnitt: 8.2 Feedback

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